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Warum die direkte Demokratie die schlechteste Demokratieform ist, mit Ausnahme der übrigen

Die direkte Demokratie zählt neben der Konkordanz, dem Föderalismus und der Subsidiarität zu den Besonderheiten unseres Staatswesens. Wer darin aufwächst, hält sie für selbstverständlich. Vielen wird erst nach erstaunten Nachfragen aus dem Ausland bewusst, wie selten, wie eigenartig und wie wertvoll die direkte Demokratie für die Bürgerinnen und Bürger ist.

 

Die kennzeichnenden Elemente der schweizerischen direkten Demokratie sind die Volksinitiative, das obligatorische und das fakultative Referendum. Sie wurden mit der Schaffung des Bundesstaates 1848 allmählich eingeführt: das obligatorische Verfassungsreferendum am Anfang, das fakultative Gesetzesreferendum 1874, die Verfassungsinitiative 1891 und das Staatsvertragsreferendum 1921.

 

Bewundert und gefürchtet

 

Ausländer betrachten unsere Demokratie oft mit einer Mischung aus Bewunderung und Angst. Die Bürger bewundern sie meist und wünschen sich auch in ihrem Land mehr politische Mitbestimmung. Umfragen über die Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger ergeben für die Schweiz regelmässig hohe Werte. Sie sind hauptsächlich unserer Demokratieform und der damit verbundenen hohen Identifikation mit dem Staatswesen geschuldet.

 

Ausländische Politiker urteilen meist skeptischer über die ausgedehnte Mitbestimmung des Volkes. Namentlich Deutsche melden Vorbehalte an. Sie sagen, in der Schweiz mögen weitreichende Bürgerrechte ein Segen sein; in Deutschland wären sie jedoch – mit Verweis auf die nationalsozialistische Vergangenheit – zu riskant. In der Tat setzt die direkte Demokratie einen starken Zusammenhalt, ein hohes Verantwortungsgefühl und ein Bewusstsein der Bürger für die kollektiven und langfristigen Folgen der Gesetze voraus.

Direkte Demokratie Landsgemeinde

Ist die Demokratie eine Überforderung?

 

Ein geläufiger Einwand gegen die direkte Demokratie ist, dass es den Bürgern an Sachkenntnis fehle. Es sei deshalb zu riskant, ihnen die Verantwortung für die Gesetz-gebung zu übertragen. Der Einwand übersieht, dass die Selbstregierung des Volkes die eigentliche Idee der Demokratie ist. Sie geht von der Gleichwertigkeit jeder Person aus und verschafft den Gesetzen Legitimation und Akzeptanz.

 

Jede Demokratie setzt die Freiheit der Bürger voraus und garantiert bürgerliche Freiheiten, etwa die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Artikel 15 der Bundesverfassung), die Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit (Art. 16 und 17 BV) oder die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (Art. 22 und 23 BV). Diese sind Ausdruck der menschlichen Würde eines jeden Einzelnen, die aus der jüdisch-christlichen Werteordnung hervorgeht, und schaffen die  gesellschaftliche Voraussetzung für eine freie Diskussion der öffentlichen Angelegenheiten und den Beschluss wohlerwogener Gesetze.

 

Übrigens beruht auch die Volkswahl des Parlaments in der verbreitetsten Demokratieform, der repräsentativen, auf derselben Annahme, nämlich dass das Volk souverän in der Ausübung der Staatsgewalt sei. Die Frage ist berechtigt, warum der Bürger kompetent über Parlamentarier befinden können soll, nicht aber über die Gesetze. Wird in Wahlkampagnen weniger geschwindelt und getäuscht als in

Abstimmungskampagnen?

Das Volk als Opposition

 

Da sich das Volk der Wohltätigkeit seiner gewählten Vertreter nie sicher sein kann, dienen die Instrumente der direkten Demokratie der systemimmanenten Korrektur. Es zeugt weder von übertriebenem Misstrauen noch von Anmassung, wenn in der schweizerischen Konkordanzdemokratie die Rolle der Opposition, die in Konkurrenzsystemen von politischen Parteien ausgeübt wird, dem Volk zukommt. Dies nicht, um das Parlament zu behindern, sondern um den demokratischen, auf das allgemeine Wohlergehen ausgerichteten Charakter des Staatswesens zu befestigen und zu erhalten.

Lukas Weber

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Kommentare: 1
  • #1

    Urs Vögeli (Freitag, 01 September 2017 12:24)

    Danke für diesen geistreichen Blog-Beitrag.