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Podium Demokratie und Menschenrechte – ein komplexes Thema fordert heraus

Gastbeitrag

Open debate Demokratie und Menschenrechte

Die erste sogenannte Open Debate im Coworking Space Effinger in Bern tischt ein schwer verdauliches Thema auf: Demokratie und Menschenrechte. Gegensätze, Spannungen oder Gleichursprünglichkeit? Vier Podiumsteilnehmer – alles Zürcher Männer – und rund 20 Interessierte trafen sich, um zu diskutieren, ob Menschenrechte und Demokratie sich vertragen, bedingen oder gar ausschliessen. Als Besonderheit des Abends visualisiert Patrick Stahel die Diskussion live und macht so einen Teil der vielen Diskussionsaspekte in Wort und Bild fassbar.

Was der Titel verspricht, hält die Veranstaltung allemal: Ein anspruchsvolles Diskussionsniveau. Die Podiumsteilnehmer begegnen sich nicht zum ersten Mal, wetzen die Klingen geübt und klimmen in theoretische Höhen, die dem Publikum bisweilen einiges abverlangen. Nichtsdestotrotz zeichnen die Votanten auf der Bühne und aus dem Publikum Linie für Linie eine Skizze der Problematik zwischen dem Anspruch allgemeingültiger Menschenrechte und einer lebendigen Demokratie.

 

Von Brexit bis zum Andenvolk

Immer wieder fallen Stichworte aus der aktuellen Politik: Masseneinwanderungsinitiative, Minarettverbot, Rentenreform, Brexit. Was tun, wenn die Mehrheit oder die gewählten VertreterInnen eines Staates Entscheide fällen, die nicht mit den Menschenrechten vereinbar sind? Hat die Mehrheit dennoch recht? Sollen Menschenrechte universal gelten oder akzeptieren wir, dass sie nach den Weltkriegen in Europa und in erster Linie für Europa entwickelt wurden? Würden wir sie einem autonomen Volk in den Anden aufzwingen, das keine Demokratie kennt? Ist die Stimmbevölkerung mit komplexen Vorlagen überfordert? Schwierige Fragen.

 

Diskussion Demokratie und Menschenrechte

Legitimieren, reduzieren, diktieren

Echte Antworten sind keine zu erwarten, aber Denkansätze. Zum Beispiel jener von Robert Nef, ehemaliger Leiter und Präsident des Liberalen Instituts: Man soll die Menschenrechte auf die drei zwingenden Rechte Folterverbot, Verbot der Sklaverei, Verbot der Rückführung in ein Land, in dem Tod oder Folter droht, reduzieren. Denn diese seien unbestritten, ein Diskriminierungsverbot hingegen gehöre «nicht in die Verfassung». Der staatskritische Nef argumentiert damit auf der Linie der Selbstbestimmungsinitiative. Ins gleiche Horn – wenn auch deutlich provokanter - bläst der Zürcher Nationalrat und Wirtschaftsrechtsprofessor Hans-Ueli Vogt. Er bezeichnet den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gar als «Diktatur, der die politische Legitimation fehlt». Vogt stört sich daran, dass heutige Menschenrechte viele politische Themen zu Rechtsthemen umdefinieren und Gerichte damit über politische Themen im Bildungsbereich oder im Gesundheitswesen entscheiden. Weil sie aber nur expost Einzelfälle beurteilen, fehle ihnen der Blick fürs Ganze. Dem hält Andreas Kley, Professor für öffentliches Recht, Staats- und Rechtsphilosophie an der Universität Zürich entgegen, dass Richter anders als Politiker frei entscheiden können. Sie müssen nicht wiedergewählt werden, nicht einer Partei zudienen und seien damit unabhängig.

 

Demokratiedefizit

Francis Cheneval, Professor für Politische Philosophie an der Universität Zürich, vermisst die politische Legitimation der Menschenrechte und die Verankerung in den Staaten. Er plädiert für institutionelle Phantasie und neue Mechanismen, wie die Staaten bei der Gestaltung der Menschen- und Völkerrechte besser eingebunden und sie damit besser legitimiert werden können.

Das Demokratiedefizit streitet denn auch niemand ab: Menschenrechte sind heute in den Händen von grossen Organisationen und NGOs. Zwar macht sie das unabhängig von nicht demokratisch geführten Staaten, aber auch ein Stück weit willkürlich. Seit ihrer Erfindung Mitte letzten Jahrhunderts haben sich die Menschenrechte weiterentwickelt und enthalten heute auch Forderungen, die nicht in jedem Kontext gültig sein können. Mit der Weiterentwicklung und Differenzierung hat die Universalität abgenommen. Doch niemand auf dem Podium oder im Publikum stellt den Wert der Menschenrechte ernsthaft in Frage. Kley und Cheneval sagen es simpel: Das Recht auf politische Mitbestimmung selbst ist ein Grundrecht, ein Menschenrecht. Die beiden Ebenen sind verflochten – historisch ebenso wie logisch. Für Cheneval sind die Menschenrechte als Grundrechte der europäischen politischen Ordnung von grossem Wert und er ruft dazu auf «das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten».

 

Die fehlenden Verteidiger

Was dem Podium fehlte, sind Stimmen, wie sie aus dem Publikum vereinzelt kamen: Engagierte Verfechterinnen und Verfechter der Menschenrechte, die die Emotionalität eines demokratischen Entscheides wie denjenigen zur Masseneinwanderungsinitiative oder zum Minarettverbot aufs Parkett bringen und damit zu echten Antworten aufrufen. Und die einstehen für den Wert von Menschenrechten für den Einzelnen. Diesen Aspekt hat eine Teilnehmerin im Saal auf den Punkt gebracht: Menschenrechte sollen den Einzelnen schützen, nicht den Staat. Und zwar nicht selten vor dem Staat selbst. Es ist also eine gewaltige Herausforderung ebendiese Staaten in den Prozess einzubeziehen. Dieses Spannungsfeld müssen die Lösungsansätze aushalten.

Corinne Roth

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