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Das Rahmenabkommen und die Sehnsucht nach Rechtssicherheit

Prof. Dr. Tobias Straumann, Wirtschaftsgeschichte, Universität Zürich

 

Wenn man mit Wirtschaftsvertretern über das Verhältnis der Schweiz zur EU diskutiert, ist schnell die Rede von der fehlenden Rechtssicherheit. Die Bilateralen seien ein Auslaufmodell. Deshalb sei es nötig, die wirtschaftlichen Beziehungen auf eine dauerhafte Grundlage zu stellen. Das Rahmenabkommen sei der einzige Weg, um diese dringend notwendige Stabilität zu gewährleisten. Andernfalls drohe Rechtsunsicherheit. Die Schweizer Exporteure müssten dann ständig mit Retorsionsmassnahmen seitens der EU rechnen, was das Geschäft unnötig kompliziere und teurer mache. Wer sich gegen das Rahmenabkommen ausspreche, nehme bewusst eine Verschlechterung des Standorts Schweiz in Kauf.

Unklare Grenzen des Rahmenabkommens

Der Wunsch nach vermehrter Rechtssicherheit ist verständlich. Unternehmen, die weltweit tätig sind, sind mit zahlreichen politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Baustellen konfrontiert. Jede Massnahme, welche die Abläufe vereinfacht und berechenbarer macht, ist deshalb höchst willkommen. Zudem sind die EU-Länder nach wie vor die wichtigsten Abnehmer von Schweizer Gütern und Dienstleistungen. Es macht Sinn, die intensiven Austauschbeziehungen so reibungslos wie möglich zu gestalten.

Auf der anderen Seite aber ist das Argument, dass mit dem Rahmenabkommen die Rechtssicherheit steigt, nicht nachvollziehbar. Denn es ist zu erwarten, dass die EU versuchen wird, die Anwendung des Rahmenabkommens Schritt für Schritt auszuweiten. Ihr durchaus legitimes Ziel ist es ja, einen möglichst homogenen Binnenmarkt auf dem europäischen Kontinent zu schaffen. Sie will damit Wettbewerb und Wohlstand in Europa fördern, und hier hat sie durchaus ihre Verdienste. Das bedeutet, dass nationale Ausnahmen und Besonderheiten, die der Vollendung eines homogenen Binnenmarkts entgegenstehen, früher oder später abgeschafft werden sollen, und zwar nicht nur in den EU-Mitgliedsländern, sondern auch in all jenen Staaten, die über den EWR oder bilaterale Verträge eng angebunden sind.

 

Es ist also höchst wahrscheinlich, dass die EU zum Beispiel über die EU-Richtlinien zur Personenfreizügigkeit Massnahmen durchsetzen möchte, die in der Schweiz kaum mehrheitsfähig sind. Dann wird der Streitschlichtungsmechanismus in Gang gesetzt, der nicht immer, aber immer wieder dazu führen wird, dass die EU Sanktionen ergreifen darf. Dann beginnt der innenpolitische Streit, den wir jetzt schon haben, von Neuem. Die Idee, dass es keinerlei Friktionen mehr mit

der EU geben wird, sobald wir das Rahmenabkommen unterschrieben haben, ist unrealistisch.

Rahmenabkommen ist nur eine temporäre Lösung

Früher oder später wird die EU auch geltend machen, dass das Rahmenabkommen nicht mehr zeitgemäss sei, sondern angepasst werden müsse. Es gehe nicht, dass nur fünf Bereiche darunterfielen. Und schliesslich haben beide Seiten im Rahmenabkommen eine Absichtserklärung unterschrieben, wonach das Freihandelsabkommen von 1972 neu verhandelt werden müsse. Damit würde der Bereich der EU-Regeln nochmals deutlich ausgeweitet. Mit anderen Worten: Die EU würde durch ihre Vorstösse permanent Rechtsunsicherheit produzieren. Denn jede Ausweitung würde auf grossen Widerstand in der Schweiz stossen und umfangreiche Konsultationsprozesse erfordern. Die EU würde dabei sicher wieder versuchen, mit einseitigen Strafmassnahmen die Schweizer Bevölkerung gefügig zu machen, wie zum Beispiel mit der Aberkennung der Börsenäquivalenz, was aber wiederum für neuen Streit führen würde. Nochmals: Es ist nicht nachvollziehbar, warum unter dem Rahmenabkommen die Rechtssicherheit zunehmen soll.

 

Im Übrigen haben auch die Mitgliedsländer selber periodisch Probleme mit der Rechtssetzung der EU. Man denke nur an die grossen Streitigkeiten bei den Themen Euro, Migration, Flüchtlinge und Terrorismus. Das Grundproblem der EU ist nach wie vor, dass die Zuständigkeiten und verfügbaren Mittel in bestimmten Bereichen nicht klar geregelt sind, worüber sich die EU-Kommission und die Europäische Zentralbank permanent und zu Recht beschweren. Eigentlich möchte die EU eine koordinierte Einwanderungspolitik, aber die Mitgliedsländer verweigern ihr die finanziellen Mittel, um die Sicherung der Aussengrenzen zu garantieren. Eigentlich möchte die EU eine gemeinsame Währungs- und Finanzpolitik, aber nur die Währungspolitik ist zentralisiert, während die Finanzpolitik fast ausschliesslich nationale Aufgabe geblieben ist. Ganz grundsätzlich gilt: Das Verhältnis zur EU bleibt auf absehbare Zeit unberechenbar, weil die EU und ihre Mitgliedsstaaten wegen der ungeklärten Machtstrukturen immer wieder grosse Rechtsunsicherheit produziert. Mit einem Rahmenabkommen ändert sich daran nichts.

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Kommentare: 2
  • #1

    Armin Nüssli (Samstag, 07 September 2019 17:33)

    Warum orientieren sich viele Politiker nicht nach den Empfehlungen von anerkannten, erfahrenen Fachleuten wie Prof. T. Stratmann?

  • #2

    Verena Guran- Fierz (Mittwoch, 11 September 2019 19:18)

    Vielwn Dank für diese klaren und veeständlichen Worte.Interessant ist, dass die EU " die Wettbewebsfähigkeit stärken" will mit dem Binnenmarkt.Das verhindert uhn geeadezu, den die Regulietung und due Zulassunfsbedingen werden so vereinheitlicht, dass die Orifukte der eunzelnen Länder sich nicht mehr untersceiden, ausser siec
    gehören zur Folklore, wiw ungarische Salami und andere Regionalprodukte.Was dazu gehört, bestimmt auch die EU,deren " Regierung", die Kommussion keine demokratische Grundlage hat.Der Binnenmarkt ist auch extrem protektionistisch und Europa viel zu klein.So eine Art Eichhörnchenrad, das hektisch von eingesperrten Beamten teuer angetrieben wird