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Laborföderalismus – demokratisches Experimentieren

Der Föderalismus ist in mehrfacher Hinsicht unter Druck. Einerseits natürlich primär durch zentralistische Tendenzen. Vereinheitlichung und Harmonisierung von Recht und Regulierungen, sowie die generelle Zentralisierung von Kompetenzen und Macht schreiten schier unaufhörlich voran. Nicht selten werden für solche Entwicklungen schön klingende neue Namen, wie «kooperativer Föderalismus» oder «horizontaler Föderalismus» erfunden. Andererseits werden dem leider oft nur wettbewerbliche Konzepte entgegengehalten. Der sogenannte «Wettbewerbsföderalismus» ist aber ein unzureichendes Konzept und setzt die Idee des Föderalismus zusätzlich unter Druck, weil dieser relativ einfach als engstirniger, egoistischer und überholter «Kantönli-Geist» deklassiert werden kann. Stattdessen sollte ein innovatives Konzept eines Laborföderalismus [1] genauer untersucht und diskutiert werden.

 

Föderalismus und direkte Demokratie

Innovation in der Politik

Ein Labor ist ein Ort, wo in kontrolliertem und begrenztem Rahmen Experimente durchgeführt werden. Es wird laufend getestet, adaptiert, gemessen und beurteilt. Nicht der Wettbewerb mit anderen Labors steht im Zentrum, sondern der gemeinsame Fortschritt, Weiterentwicklung und Verbesserung. Weil niemand endgültige Antworten für sich beanspruchen kann, ist jedes Labor auf die Vielfalt an Ideen und Lösungsversuchen von anderen Labors angewiesen. Je mehr experimentiert und danach verglichen werden kann, desto eher kommt man mit dem Laborföderalismus dem Ziel sozialer Innovation näher. Zentralisierung und Harmonisierung hemmen hingegen Innovation und verunmöglichen neue, kreative Lösungen. Gleichzeitig besteht auch latent das Risiko, dass schlechte Lösungen für alle verbindlich erklärt werden.

Fazit: Der Laborföderalismus steht für Kreativität und Pluralität an Lösungsideen und Lösungsvorschlägen. Erst so wird Innovation in der Politik möglich.

 

Unternehmerische Werte in der Politik

Bei genauerer Betrachtung geht es hierbei auch um unternehmerische Werte. Neues ausprobieren, etwas wagen, Massnahmen den Begebenheiten und Bedürfnissen anpassen, experimentieren, sich stetig verbessern, Marktlücken finden, das sind alles charakteristische unternehmerische Tugenden. Nur wer kreativ und innovativ ist, wird auch auf dem Markt erfolgreich sein. Kreativität und Eigeninitiative setzen jedoch Rahmenbedingungen voraus, die Vielfalt zulassen oder sogar fördern. Eine Kultur des Scheitern-Dürfens und sich Zurücknehmens ist unerlässlich hierfür. Gleichzeitig geht es bei dieser Art der Eigeninitiative um Eigenverantwortung. Es geht jedoch auch um eine Kultur der Toleranz. Spannungen infolge unterschiedlicher Lösungsansätze müssen ausgehalten werden können. Vereinheitlichung negiert jedoch dieses Ausharren von echter Vielfalt. Der unternehmerische Geist ist da sportlicher und befürwortet sogar Unterschiedlichkeit.

Fazit: Der Laborföderalismus verbindet somit unternehmerische und innovative Ideale. Er steht im politischen System für den Reichtum an Ideen und Visionen.

 

Föderalismus und direkte Demokratie

Machtteilung und Ausbalancierung

Dezentrale Strukturen haben auch den Vorteil, dass auf unterschiedliche Bedürfnisse eingegangen werden kann. Dezentralisierung und Fragmentierung von Macht verleihen einem Staatswesen Robustheit und Akzeptanz. Man kann einerseits flexibler und agiler auf sich verändernde Gegebenheiten eingehen, andererseits können sich durch Erfahrungsaustausch und das Vergleichen politische Lösungen bewähren oder scheitern. Der Bürger muss dazu aber eine echte Auswahl haben und transparent gegenüberstellen können. Funktionale Zwänge und Fatalismus sind diesem Konzept fern. Die durch einen Laborföderalismus geförderte Rückbindung und gesellschaftliche Einbettung von Staatstätigkeit, sowie die Ausbalancierung von Interessen und Macht verleihen der Politik zusammen mit der direkten Demokratie ein grosses Mass an Stabilität und Legitimation.

Fazit: Der Laborföderalismus ist Garant für einen Staat, der in seiner  Gesellschaft eingebettet und somit akzeptiert und legitimiert ist.

 

Demokratisches Experimentieren

Der Laborföderalismus ist Ausdruck von einer Kultur demokratischen Experimentierens. „Die Demokratie ruft beständig nach neuen Formen ihrer Verwirklichung,“ so der deutsche Philosoph Emanuel Richter.[2] Dieses demokratische Ausprobieren und Testen schafft Raum und Möglichkeiten für Veränderung, Anpassung, Korrektur und Reflexion. Grundmotiv dieser Kultur sind laut dem italienischen Denker Maurizio Viroli die Skepsis und der Zweifel. Diese sind nicht einfach gegen Macht und den Staat gerichtet, sondern Ausdruck eines Unbehagens, das grundsätzlich „definitive Lösungen für soziale Probleme ablehnt“. Es ist ein Zweifel, der „den Konformismus kritisiert und die Verschiedenartigkeit lobt“.[3] Viroli ist dabei aber wichtig, dass es eben ein aufbauender Pluralismus sein soll und kein vernichtender Wettbewerb.

 

Vielfalt und Föderalismus

Kreative Demokratie

Der Politikwissenschaftler Arno Waschkuhn [4] hatte bereits die Idee der „kreativen Demokratie“ ausgeführt und leitete das Konzept des „demokratischen Experimentierens“ wie folgt her: „Wir haben unsere chronische Irrtumsanfälligkeit durch Kreativität, Kritik- und Lernfähigkeit zu kompensieren, individuell wie kollektiv.“ Dieses kreative Experimentieren ist daher Ausdruck eines reflexiven Staatsverständnisses, welches Ideenreichtum fördert und somit den Laborföderalismus voraussetzt. Es geht dabei gemäss Waschkuhn um politische Kreativität, Vielfalt, Offenheit und Flexibilität, Erfindungskraft, Entdeckergabe, Subtilität und Komplexität.

Fazit: Der Laborföderalismus ist somit höchster Ausdruck eines relationalen und bürgernahen Politik- und Staatsverständnisses, welches die Staatsmacht nahe bei den Individuen und der Zivilgesellschaft hält und diese einbindet, lokale Verankerung fordert, Mischformen und Korrekturen, somit das Nebeneinander und die Gleichzeitigkeit von Verschiedenem zulässt.

Urs Vögeli

[1] Vgl. NZZ Gastkommentar von Feld, Lars P./Schaltegger, Christoph A. (2017): „Zukunft des Föderalismus - Kantone als Labore".

[2] Richter, Emanuel (2011): „Die Legitimität der Republik – ein Stufenmodell”. In: Gröschner, Rolf/Lembcke, Oliver W. (Hrsg.): Freistaatlichkeit. Prinzipien eines europäischen Republikanismus. Tübingen: Mohr Siebeck.

[3] Viroli, Maurizio (2002): Idee der Republikanischen Freiheit. Von Machiavelli bis heute. Zürich, München: Pendo.

[4] Waschkuhn, Arno (2006): Denationalisierung und zivile Tugenden. Liberaler Republikanismus und normativer Individualismus in der Hochmoderne. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft.

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