Freiheit und Menschenrechte
Das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht unterliegt denselben harmonisierenden und zentralisierenden Tendenzen wie das Verhältnis von Bundesrecht und kantonalem Recht. Wer diesen Prozess nicht will, muss politische Gegenstrategien entwickeln, die auch institutionell zu verankern sind, denn die Verlagerung der Entscheidungsmacht auf höhere Ebenen bringt nicht nur einen Verlust an Partizipation sondern auch einen Verlust an Lernfähigkeit des Gesamtsystem.
Von Robert Nef, lic. iur.
Unter anderem dank der direktdemokratischen und dezentralen Selbstbestimmung hat sich unser Land seit dem 19. Jahrhundert von einem einkommensschwachen, rohstoffarmen und agrarisch geprägten Kleinstaat zu einem global vernetzen, unternehmerisch und forschungspolitisch erfolgreichen, innovativen und von allgemeinem Wohlstand gekennzeichneten Land entwickelt. Die politische und soziale Stabilität der Schweiz gilt als wesentlicher und langfristiger Standortvorteil.
Bei der Diskussion der Selbstbestimmungsinitiative im Parlament hat man leider die Gelegenheit verpasst, einen zentralen Aspekt einer vertieften Diskussion zu unterziehen. Einer der Gründe, die den Anstoss zur Initiative gegeben haben, ist die teilweise bedenkliche Entwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Er hat im Laufe der Zeit live-style-Menschenrechte geschaffen, die mit dem ursprünglichen Ziel der EMRK unvereinbar sind.
Die Definition der Menschenrechte gehört selbstverständlich in eine nationale Verfassung. Weshalb? Auf internationaler Ebene wird bestimmt, was bezahlt werden muss, auf nationaler Ebene muss dies bezahlt und vor allem durch Steuern finanziert werden. Damit wird eines der grossen Prinzipien des Staatsrechts und des Demokratieverständnisses seit der Magna Charta 1215 und der Sezession der Vereinigten Staaten von England 1776 verletzt: no taxation without representation.
Die Menschenrechte zählen heute zu den am wenigsten verstandenen Begriffe auf dem politischen Marktplatz. Sie sind zu einer Waffe der Linken gegen Liberale geworden, um die Macht des Staates zu vergrössern, die Rechte der Bürger zu verringern und die Demokratie zu schwächen. Die Menschenrechte bezwecken jedoch genau das Gegenteil: Sie sollen die Macht des Staates beschränken, dem Bürger weitgehende Rechte gewähren und die Demokratie stärken. Was ist schiefgegangen?
Menschenrechtserklärungen dienen dem Zweck, Gesetzgebern eine Handlungsanleitung für eine friedliche, freiheitliche und prosperierende Gesellschaft an die Hand zu geben, in der das Individuum geschützt wird. Was jedoch, wenn diese Anleitungen fehlerhaft sind?
Der französische Aufklärer Voltaire soll gesagt haben: «Ich bin zwar anderer Meinung als Sie, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie Ihre Meinung frei aussprechen dürfen.» Unabhängig davon, ob dieser Ausspruch tatsächlich von Voltaire stammt, geht das Recht eines jeden, seine Meinung frei zu äussern, zweifellos auf die europäische Aufklärung zurück.
In der gesellschaftlichen Debatte gilt es als ausgemacht, dass Menschenrechte mit dem «Top-down»-Ansatz am besten geschützt werden können. Die «Bottom-up»-Demokratie könne hingegen die Menschenrechte gefährden. Doch ist diese Darstellung zutreffend?